Physiotherapeutische Hypothesen: Reflex Your Therapy!

Veröffentlicht von Rosi Würtz am

HUHU, HOHO, HIHI… HOAC??? Im Studium der Physiotherapie begegnen einem manchmal Bezeichnungen und Abkürzungen, die eher an den Namen eines PC-Games erinnern. Von dem HOAC habe ich erstmalig beim Besuch der THIM Hogeschool voor Fysiotherapie gehört.

Hypothesis-Oriented Algorithm for Clinicians

Die Auflösung der Hieroglyphen HOAC ist leider im ersten Moment auch nicht aufschlussreicher als eine Spielanleitung für Levels, die man sowieso selbst spielen und erkunden muss. Heute möchte ich eine konkrete Therapiesitutation aus meiner physiotherapeutischen Perspektive schildern, um das Rätsel HOAC zu lösen bzw. ihm wenigstens etwas näher zu kommen.

Es geht also um Hypothesen, also Annahmen, die im Lauf des Therapieprozesses aufgestellt werden und die einem Algorithmus, also einem Arbeitsablauf folgen. Gut, damit kann ich zumindest ein kleines Bisschen anfangen. Hypothesen sind eine Art der Vermutung, die es gilt zu bestätigen oder zu verwerfen.

Hypothesenbildung in der Therapie

Wann fängt dieser Prozess der Hypothesenbildung eigentlich an? Meine Antwort darauf: Sobald ich den Namen meines Patienten oder meiner Patientin auf dem Therapieplan sehe. Schon dann bilden sich in meinem Kopf Annahmen, die auf meinen eigenen Erfahrungen und auf meinem Wissen basieren. „Frau Müller“ erweckt bei mir als Kind deutsch-indischer Eltern andere Bilder als „Frau Singh“ (indischer Nachname).

Dann der Blick auf das Rezept: „Zustand nach VKB-Ruptur“. Wohlmöglich eine Arthroskopie des Knieglenks. Schon schießen mir meine bisherigen Erfahrungen mit Kniepatienten durch den Kopf inklusive meiner eigenen OP am linken Knie nach meinem Kreuzbandriss.

Das Geburtsdatum zeigt mir ein jüngeres Semster. Mmmmh, vielleicht ein Sportunfall? Fußball, nee, es ist Winter, vielleicht ein Skiunfall. Vermutung über Vermutung und das, obwohl ich die Patientin noch gar nicht gesehen habe.

Dannd er Weg auf die Patientin zu. Sie sieht sportlich aus. Eine nette Begrüßung lässt mich darauf schließen, dass wir wahrscheinlich auch während der Therapie gut miteinander auskommen werden. Die Compliance-Liste bekommt schon mal einen positiven Marker.

„Das Gangbild mit den Gehstöcken ist aber noch nicht akzeptabel.“ und schon bildet sich eine erste Untersuchungshypothese, dass nämlich die Streckung des Kniegelenks unbedingt genau in Augenschein genommen werden muss. Warum entlastet die Patientin ihr Bein komplett und setzt den Fuß erst gar nicht auf? Therapeutenversäumnis im Krankenhaus oder Schmerzen, die erst heute morgen aufgetreten sind?

Während des Anamnesegesprächs erfahre ich dann, dass das Kreuzband schon zum zweiten Mal gerissen ist und zwar beim Hallenfußball. Ok, Skiunfall wird direkt gestrichen!

Sie setzt den Fuß nicht auf, weil sie Angst hat, dass sie sich das Knie noch einmal verdrehen könnte, erzählt die Patientin. Die Kollegen im Krankenhaus haben ihr die mögliche Belastung nach der Arthroskopie mit Kreuzbandplastik mit einer Waage gezeigt. Sie traut sich jedoch trotzdem nicht und so entwickle ich schon insgeheim meinen Therapieplan im Kopf und bilde Hypothese über Hypothese über Belastungssteigerungsmöglichkeiten, den Heilungsverlauf und und und…

Und was hat das alles mit HOAC zu tun?

HOAC ist im Prinzip ein Formular und hilft uns Physiotherapeuten, die Übersicht in diesem Wirrwarr an schnell auf uns einprasselnden Informationen zu bewahren. Oder besser gesagt: Darüber zu reflektieren, wie und warum wir unsere Entscheidungen treffen. Hypothese für Hypothese im Dschungel der Infos!

Welchen therapeutischen Weg gehe ich gemeinsam mit dem Patienten und wie finde ich die bestmögliche Lösung, die sowohl meine therapeutischen Erfahrungen als auch wissenschaftliche Forschungsergebnisse miteinbezieht?!

Kein leichtes Unterfangen, aber jede Reflexionsmöglichkeit erweitert den physioterhapeutischen Horizont!

In diesem Sinn: REFLEX YOUR THERAPY & LEARN!

Kategorien: Bewegung + Gesundheit

Rosi Würtz

Soziologin mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Gesundheit, derzeit Promotion (Uni Bonn) über betriebliche Gesundheitskommunikation von Krankenhäusern in sozialen Medien, staatlich anerkannte Physiotherapeutin mit einem Faible für Paläontologie und Raumfahrt

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