Migration und körperliche Nähe

Veröffentlicht von Rosi Würtz am

Die heutige Szenerie in meinem heimischen Büro gibt mir doch einiges zu denken und ich fasse hier ein paar Gedanken und Impulse zusammen. Zum Setting: Meine Mutter klopfte plötzlich an der Bürotür und reichte mir einen Telefonhörer. Aus diesem Mobilfunkgerät drang die Stimme meiner indischen Tante. Ich wechselte mir ihr ein paar Worte auf Englisch über die aktuelle Unwetterkatastrophe in der Nähe von Bonn. Dann gab ich den Hörer zurück an meine Mutter, die dann im schnellen und herzlichen Schlagabtausch mit ihrer Schwester über die anstehenden Haushaltstätigkeiten sprach.

Migration: Brücken bauen mit Medien

Ohne Briefe, Telefone und Smartphones wäre meine Mutter von unserem in Indien lebenden Verwandtschaftsteil kommunikativ komplett abgeschnitten. Während sie neben mir stand und auf Tamil mit meiner Tante Witze machte, dachte ich unwillkürlich daran, wie es damals war. Damals, als wir gemeinsam in einem Raum waren und unser Leben ohne Zwischenschaltung von Medien erlebten. Insgeheim wünschte ich mir, durch den Hörer zu schlüpfen und am anderen Ende wieder herauszukommen. Eine utopische Reise, die mir jedoch sehr gefiel.

In dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, fallen mir ein paar Fragen ein, die ich heute in einem Newsletter über Qualitative Sozialforschung gelesen habe. Sie bringen meine Traumreise auf ein abstraktes Level:

Welche Rolle spielen Körper und Leiblichkeit in sozialen 
Begegnungen? Welche Bedeutung hat die leibliche Wahrnehmung von anderen 
für unser Wohlbefinden? Auf welche Art und Weise wird der Körper in der 
sozialen Interaktion eingesetzt?

Während der Corona-Pandemie ist die physische Distanz zum lebensrettenden Abstand geworden, die wir teils freiwillig und teils unfreiwillig einnehmen. Ein Vergleich von Äpfel mit Birnen hat sich zwar noch nie als sonderlich schicklicher Schachzug erwiesen, aber an dieser Stelle möchte ich die Mixtur doch wagen. Was bedeutet physische Distanz über Jahre und Tausendkilometer hinweg für Familien im permanenten Migrationszustand? Die Begegnung und das Telefonat heute Morgen in meinem Büro hat mir physikalische Distanz nochmals bewusst vor Augen und Ohren geführt.

Kategorien: Digital Social Medial

Rosi Würtz

Soziologin mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Gesundheit, derzeit Promotion (Uni Bonn) über betriebliche Gesundheitskommunikation von Krankenhäusern in sozialen Medien, staatlich anerkannte Physiotherapeutin mit einem Faible für Paläontologie und Raumfahrt

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